Autor: Jacques Chaplain ⋅ Teil 2
Im zweiten Teil geht es um den Beitrag von Jean Houzeau de Lehaie zum Wissen über Bambusse und zu ihrer Kultivierung.
Die im 16. Jahrhundert aufgekommene Schwärmerei für pflanzliche Exotik in den königlichen Gärten erlaubte es den Prinzen, „beim Anblick der Orangenbäume und Palmen in Entzückung zu geraten“. Die damaligen Baumschulen führten schon zahlreiche exotische Pflanzen ein: Zitrusbäume, Baumwollpflanzen, Palmen, Indigopflanzen, Guavenbäume, Bananen, Zuckerrohr, aber kein Bambus. Es sind nur merkwürdige Bäume „in Rohrform“, die im Westen eigentlich nicht von Interesse sind für die Nutzung in Landwirtschaft und Gartenbau.
Während des 19. Jahrhunderts wurden diese Gräser von einigen reisenden Botanikern bemerkt, – wie von dem Deutschen Dietrich Brandis 28, der jahrelang das englische Indien erkundete – aber lange Zeit fanden sie eher einen Platz in den Herbarien als in den Gärten! Die Gärtner verbreiteten die Bambusse nur selten, da die meisten Liebhaber der damaligen Gärten nach Jean Houzeau de Lehaie sie für eine „mehrjährige Pflanze, die aber ihre Wirkung erst nach langer Zeit erhält“ hielten. Nicht desto trotz, auch durch die vereinzelte Weitergabe dieser Pflanzen fanden sich bereits Liebhaber 29! Wie die Verbreitung der Palmen mit der Erfindung der Zentralheizung zusammenfällt, so verdanken die Bambusse ihre Verbreitung der Erfindung der Dampfmaschine. In der Tat, erst durch die industrielle Revolution gelangten die ersten Bambusse mit Wurzeln nach Europa. So erfahren wir von Jean Houzeau de Lehaie, dass die erste Sorte, die im Westen Wurzel schlug, Phyllostachys nigra war. Unser Naturforscher erklärt die späte Einführung der Bambusse nach Europa „durch das seltene Fruchten, die kurze Keimfähigkeit der meisten Samen und die lange Transportdauer vor der Nutzung der Dampfschiffe 30.“ In der Tat, vor der Ausrüstung von Schiffen mit Dampfmaschinen kann man sich vorstellen, dass die Botaniker und Baumschulgärtner niemals auf die Idee gekommen wären, Bambuspflanzen zu importieren, da das Risiko der Austrocknung durch die Dauer des Transports zwischen Fernost und Europa zu groß war. Man hätte voluminöse Strohhüllen gebraucht, um kräftigere Pflanzen zu transportieren (Bambushorste von 500 kg bis zur 1 Tonne) und hätte außerdem ausreichende Wasserreserven für die ganze, mehrere Monate lange Reise vorsehen müssen. Rein technisch wäre es möglich gewesen, aber der wirtschaftliche Einsatz gegenüber anderen Pflanzen wäre sehr gering gewesen. Die Erfindung von Fulton im Jahre 1802 erlaubt entsprechend ausgerüsteten Klippern Windmangel vorübergehend durch Maschinenkraft zu ersetzen. Die Technologie der Schiffsschraube und des metallenen Schiffsrumpfes im Jahre 1870 hat zum Beispiel ermöglicht, Südchina (Cochinchine) und Marseille in Rekordzeit zu verbinden. Zur Zeit der Klipper konnte Jean die Geschichte der ersten Einführungen verfolgen. Arundinaria gracilis (Drepanostachyum falcatum), Bambusa arundinacea, B. Thouarsi (B.vulgaris), B. aurea (Ph. aurea) aus Indien und Ph. Mitis (Ph. viridis) aus China wurden im Jahre 1840 von M. Denis nach Hyère importiert. Ph. Nigra wurde 1846 vom Vizeadmiral Cécile aus China nach Frankreich (wieder?) eingeführt. Dieser brachte im selben Jahr auch Ph. viridiglaucescens aus Nord China nach Frankreich. Die ersten Arundinaria Falconeri (Drepanostachyum f.) wurden ein Jahr später aus Nordindien importiert und sehr schnell von dem berühmten belgischen Baumschulgärtner Van Houtte auf den Markt gebracht. Es ist der Botaniker Siebold, der den „Arundinaria japonica“ (Pseudosasa j.) 1850 einführte. Nach einer Unterbrechung von etwa 12 Jahren ermöglichte, dank Herrn Simon, dem französischen Konsul in China, eine neue Importwelle die Entdeckung und die Pflanzung von Arundinaria simonii (1862), „Arundinaria fortunei (1863), Ph. flexuosa (1864), Ph. sulfurea (Ph. bambusoides „Holochrysa“) in Frankreich und Belgien, und ein Jahr später, 1866, importierte der Admiral du Quilio aus Nord-Japan Ph. bambusoides, den er Herrn Auguste Rivière anvertraute, dem Direktor des Versuchsgarten in Hamma (Algerien). Diese erste Periode geht mit dem Import von Ph. violascens aus China zu Ende.
Zur Zeit der „Dampfer mit Schiffsschrauben“ konnten die Bambusliebhaber viele verschiedene Sorten einführen. Durch seine Lektüren und seinen Schriftwechsel wird diese Zeit von Jean gut festgehalten. Der florentinische Bankier Fenzi sollte „Bambusa quadrangularis (chimonobambusa q.) und Ph. Nidulari einführen. Noch vor 1877 zählen A. aureostriata, B. ragamowskii (A.R., B. spinosa (B. arundinacea), Dendrocalamus latifolius und D. strictus zum Bestand des Arboretums von Segrez (Seine-et-Oise). In den 1870-er Jahren führt der berühmte Züchter von Nymphea und größte Bambusimporteur Europas 31, Joseph Bory Latour-Marliac, die Phyllostachys-Arten boryana, castilloni, marliacea 32, sowie A. Chino „Laydekeri“, fastuosa (Semiarundinara f.) und B. alphonse-karri ein. Im gleichen Jahrzehnt bringt Dr. Hénon aus Genf nach einem langen Aufenthalt in Japan 33 Ph. pubescens (Ph. edulis) mit, der von Jean Houzeau de Lehaie vorbildlich im ersten Leitartikel seines Heftes beschrieben wird (wir werden später näher darauf eingehen), sowie Ph. aurea und bambusoides, und B. nana (B. multiplex). Der Ph. puberula, der Ph. henonis (Ph. nigra gr. henonis) genannt wird, wird Gegenstand einer Meldung seines Importeurs in der Zeitschrift Bambou sein: Es sei die einzige Sorte, die sich in der Schweiz erhalten und verbreitet habe. Dr. Ernst Pfitzer, Professor für Botanik an der Universität von Heidelberg, und auch Freund von Jean Houzeau de Lehaie, findet im Jahr 1902 in einer aus Japan eingetroffenen Partie Bambus, die in Hamburg verkauft wurde, einen Kultivar von Ph. bambusoides mit vielfarbigen, Blättern und kräftig gelben Halmen. Er bekommt den Namen Ph. bambusoides „Castilloni“. Damals wusste Jean nicht, dass diese Mutation schon zweimal zuvor nach Europa eingeführt worden war. Im Gründungsjahr seiner Fachzeitschrift lässt Jean Houzeau aus Japan einen panaschierten Kultivar von A. japonica, Sasa borealis, einen Kultivar von Ph. puberula mit gestreiften Halmen und eine Sorte des Ph. puberula mit engstehenden Halmen und braunen Punkten, in Japan Han-chiku 34 genannt (es handelt sich wahrscheinlich um den Ph. henonis cv „Hanchiku“) kommen.
Für unseren Naturforscher hat die Entwicklung der Verkehrswege und die Geschwindigkeitserhöhung der Transportmittel nicht nur die Anzahl der Taxa* erhöht und ihre Einführung erleichtert, sondern es konnten auch widerstandsfähigere Pflanzen eingeführt werden, da es ab jetzt leichter war, Bambusse einzuführen, die an lange und harte Winter und an kurze Sommer mit kalten Nächten und warmen Tagen gewöhnt waren. Vorher konnte man lediglich Pflanzen in der Nähe von Seehäfen sammeln, die ein mildes Klima genossen. Seiner Meinung nach eröffneten sich für die Bambusliebhaber nun neue Perspektiven: so standen ihnen neue Pflanzen aus China, der Mandschurei, Korea und Japan zur Verfügung, die widerstandsfähiger waren und besser geeignet für Standorte im Binnenland von Westeuropa 35.
* als Taxon (das; Plural: Taxa) bezeichnet man in der Biologie eine als systematische Einheit erkannte Gruppe von Lebewesen. Meist drückt sich diese Systematik auch durch einen eigenen Namen für diese Gruppe aus. Die wissenschaftliche Benennung von Taxa ist Aufgabe der Taxonomie, die sich wiederum auf die Ergebnisse der biologischen Systematik stützt. Unterschiedliche systematische Vorstellungen führen zu unterschiedlichen taxonomischen Ansätzen und damit zu alternativen Ergebnissen bei der wissenschaftlichen Benennung von Taxa. Aus traditionellen Gründen erhalten diese bis heute an die lateinische oder griechische Sprache angelehnte Namen. Der Name Taxon selbst leitet sich aus dem Griechischen tattein (tattein) für „ordnen“ ab.
Anfang 1905 erhielt Jean 82 Bambusse aus Japan. Die Reise dauerte nur 52 Tage und war erfolgreich dank einer besonders sorgfältigen Verpackung (jede Pflanze wurde mit gut befeuchtetem „Sphagnum“ eingewickelt und mit Bändern aus Reisstroh zusammengebunden, der Wurzelballen mit Reisstroh eingepackt und in Kisten gelagert…): 75 Setzlinge haben so überlebt und konnten in der Ermitage wachsen. Im April des gleichen Jahres transportierte J. Houzeau de Lehaie auf dem Landweg bei regnerischem Wetter eine Ladung von 8 Tonnen aus Prafrance. Die Reise dauerte nur eine Woche für die Strecke von 1.100 km. Einige Bambusse maßen mehr als fünfzehn Meter und das Ergebnis war viel besser als im Vorjahr. Mit dem Zug hatte man 25 Tage gebraucht und Jean bedauerte, dass die Eisenbahngesellschaften nicht die gleiche Fürsorge wie für die Tauben gezeigt hätten „…und einige Bambusse kamen aufgrund der Trockenheit total verdurstet an…“
Fußnoten
28 J. Houzeau de Lehaie bewundert diesen Botaniker und Reisenden sehr, vgl. Le Bambou, Bulletin périodique Nr. 5-6, 15. Dezember 1906, S. 164-165.
29 Le Bambou, Bulletin périodique, Nr. 7-8, 30. Juni 1907, S. 223.
30 Le Bambou, Bulletin périodique, Nr. 9-10, 30. Juni 1908, S. 229.
31 FREEMAN-MITFORD, A. B., The Bamboo garden, Macmillan ed. London, 1096, S. VIII (preface).
32 DAVEAU, M. et DEMOLY, J.-P., Joseph Bory LATOUR-MARLIAC, Bambou, Nr. 48, Juli 2006, S. 21.
33 Dr. Henon, „guter Botaniker und fähiger Gärtner“ ist wie sein Vater einer der zehn Abgeordneten der liberalen Opposition in Paris unter der Herrschaft Napoleons III. Er taucht für vier Jahre unter, nachdem er im Lyon der Kommunarden praktiziert hatte, und arbeitet in Japan als Arzt bei einer Minengesellschaft. Als er seine Rückkehr nach Europa vorbereitet und seine Pflanzen verpackt, machen ihn seine Schüler, die „edlen Satzumas“, aufmerksam: „Mein Herr, Sie haben noch nicht unseren Bergbambus, es ist vielleicht die einzige gut winterharte Art“. Das ist die Art, die später den Namen „Henonis“ tragen soll. Dr. FOREL, Le Bambou, Bulletin périodique, Nr. 3-4, 3 April 1906, SS. 102-104.
34 SATOW, E., The cultivation of bamboos in Japan, The Asiatic Society of Japan, 1899, S. 61 et sq. Beschreibung von madara-dake oder han-chiku).
35 Le Bambou, Bulletin périodique, Nr. 9-10, 30. Juni 1908, S. 232.
36 Ingesamt wurde aber nur Jeans Vorwort ins Englische und ins Deutsche übersetzt. Alle übrigen Artikel erscheinen in Französisch.
37 WOODS, Tom, Les pionniers du bambou, Europäische Bambusgesellschaft, S. 13 und Newsletter Belgian Bamboo Society – Jaargang 2 – Nr. 7, S. 18.