Autor: Jacques Chaplain ⋅ Teil 1
„Alles ist seltsam und interessant bei den Bambussen“ Jean H. de L.
Jeder Bambusfreund kennt den Phyllostachys viridis ‘Houzeau’, diesen Riesen, der 17 m Höhe erreichen kann und der sich durch seine gelbe Internodienrinne von den anderen unterscheidet. Diese Bezeichnung des Kultivars ist ohne Zweifel eine Anerkennung für alle Arbeiten des belgischen Naturforschers Jean Houzeau de Lehaie, die dem Studium und der Akklimatisierung der Bambusse in seinem Park „L‘Ermitage“ gewidmet sind. Er ist auch bekannt durch seinen Beitrag zur Verbreitung der wissenschaftlichen und Gartenbaukenntnisse über die Bambusse unter den Amateuren in den ersten Jahrzehnten des XX. Jahrhunderts. Er hat auch die Verbreitung der Bambusse in den Gärten Europas gefördert. Aber wer ist denn dieser Bambusfanatiker? Wie ist er zu diesem Interesse am Bambusstudium gekommen, zum Interesse für die neue Spezies, für ihre Akklimatisierung, zuerst in Belgien im Landgut „L‘Ermitage“ und dann in ganz Europa bis hin zu den extremen Klimazonen Norwegens? Was sind seine Hauptarbeiten, seine Informationsquellen, seine wichtigsten wissenschaftlichen Korrespondenten oder aufgeklärten Amateure? Wie ist er dazu gekommen ein Austauschnetz der Kenntnisse und der Gartenerfahrungen zu knüpfen? Wo sind die Grenzen seiner mutigen Taten im Dienst unserer Lieblingspflanze? Wir werden versuchen, diese vielen Fragen zu beantworten dank der Artikel, die Jean Houzeau de Lehaie in Fachzeitschriften geschrieben hat. Die Studie seiner Bibliographie ist uns auch sehr nützlich. 1
Diese Forschungsarbeit ist ein bescheidenes Lob an einen dieser bewundernswerten Menschen des XIX. und XX. Jahrhunderts, die dazu beigetragen haben, die Bambusse in Europa nach 800.000 Jahren Abwesenheit wieder einzuführen und eine immer größere Zahl von Gartenamateuren mit einer Pflanze vertraut zu machen, die bis dahin nur einigen Pionieren im Jahrhundert der Dampfschifffahrt bekannt war.
Der Onkel, Jean Charles 5 ist eine außergewöhnliche Person. Er ist ein Autodidakt und hat einen wissenschaftlichen Geist, der von den republikanischen Ideen seines Vaters beeinflusst ist. Er ist als Astronomieexperte bekannt. Seine politischen Stellungsnahmen werden ihn seine Stelle als Astronomiehilfe im „Observatoire Royal de Bruxelles“ kosten. Sein tapferer und abenteuerlicher Geist wird ihn dazu führen, sich jenseits des Atlantiks niederzulassen. 1857 legt er mit einem kleinen Segelboot an den Küsten New Orleans an. Er wird Feldmesser und dann „frontierman“ im Westen von Texas; dann kommt er am Anfang des Sezessionskriegs nach SanAntonio zurück. Er will weder von den texanischen Pflanzern getötet werden, noch in der Südstaatenarmee Soldat werden und flüchtet sich nach Mexiko. Dann kommt er wieder nach New Orleans zurück, um unter Lebensgefahr für die Sache der Schwarzen und für die Abschaffung der Sklaverei Stellung zu nehmen. Er arbeitet in der Zeitung der Schwarzen „Unions“ mit und wird Direktor der „Tribune“ werden. Das Lokalblatt ist eine Nationaltageszeitung geworden, die in den USA Aufsehen erregt. 6 Nach dem Krieg lässt sich Charles in Jamaica nieder. Er verbringt dort die schönste Zeit seines Lebens: als kleiner Kaffeepflanzer, als Lehrer wird er sich der Astronomie und der Literatur widmen. Nach 19 Jahren freiwilliger Auswanderung kommt er wieder nach Belgien zurück, und zu seinem größten Erstaunen wird er von König Léopold II zum Direktor des „Observatoire“ benannt. Auguste, Jeans Vater ist von seinem jüngeren und abenteuerlustigen Bruder sehr beeinflusst. Durch Fouriers Ideen gebildet, macht er Karriere im Dienst des Staates (Bürgermeister , Parlamentsmitglied) und als Wirtschaftspolitiklehrer in „Ecole des Mines“ von Mons. Er ist auch ein sehr tüchtiger Arbeiter, ein Vortragender, dessen Kultur universal ist. Er ist „Grand Maître du Grand Orient de Belgique“ und Bücherfreund. Er interessiert sich für Botanik, für die vorgeschichtliche Anthropologie, für die hysische Geographie und für die Physik des Globus.
Auf den von Jean Houzeau 1907 in „L’Ermitage“ aufgenommenen Photos können wir die Bambushaine in der unmittelbaren Nähe des Hauses sehen. Es handelt sich insbesondere um Riesenbambusse aus Prafrance, die im April 1905 gepflanzt wurden 22: Phyllostachys Bambusoides (Ballen von 400 kg, Halmhöhe 13,5 m, Halmdurchmesser 7,5 cm), Phyllostachys Mitis (Ballen in 3 Teilen von 1200 kg, Höhe 16,5 m, Durchmesser des dicksten Rohres 10 cm). Die tropischen Bambusse (die Bambusa, 10 damals in die Gattung Arundinaria eingeordnete Sorten und ein Dendrocalamus strictus) werden in das Treibhaus gestellt. Später werden Bambushaine in dem bewaldeten Teil, bei den Teichen und in den Wäldern des landwirtschaftlichen Betriebes gepflanzt. Der Boden des Mont Panisel ist für den Bambusanbau ziemlich gut geeignet: Er besteht aus grünem Sand mit Lehm (hohe YpernFormation). Dank der sorgfältigen Anbaukultur, die 20 Jahre lang ständig verbessert wurde, haben sich die Bambusse in „L’Ermitage“ wunderbar entwickelt bis zu dem verhängnisvollen Winter 1916 / 1917. „Dieser war so streng, dass fast alle Bambushaine bis zum Boden zerstört wurden. Der Winter 1917 / 1918 zerstörte viele neue Bambussprossen und auch der Winter 1921 / 1922 war sehr hart für gewisse Arten“. 24 Welche Enttäuschung auch für die Vögel! Während Anfang 1916 „…ein Schwarm von 400 bis 500 Stare in den Bambushainen zum ersten mal übernachtete“, fielen ein Jahr später die Mindesttemperaturen über 13 Tage auf minus 10 Grad Celsius und sogar auf minus 19 Grad Celsius in den letzten drei Nächten. Am 4. Februar 1917 stellte Jean fest, dass die Stare die Bambusse verlassen, wenn sie von zu strenger Kälte beschädigt werden. Von nun an kehrten abends nur kaum ein halbes Dutzend Vögel zum gewohnten Schlafplatz zurück. „Vielleicht sterben sie vor Kälte und Hunger. Nach der großen Freude über die Vogelmengen herrschen in allen Bambushainen Stille und Tod“. 25 „Was die vielfältige Sammlung von tropischen Bambussen betrifft“, gesammelt vor dem Krieg, werden sie – in Folge des Bombardements durch die CommonwealthTruppen vom 11. November 1918 zur Befreiung der Stadt Mons von vier Jahren deutscher Besatzung – starke Frostschäden erleiden. Am Morgen, kurz bevor um 11 Uhr der Waffenstillstand unterzeichnet wurde, zerspringen durch das Bombardement hunderte Glasscheiben. Acht Tage später sinkt die Temperatur unter Minus 9 Grad. Wie schon gesagt, der Winter 1921/1922 war sehr hart für gewisse Bambusarten. „Infolgedessen haben nur wenige Bambussorten wieder neue Kraft gewonnen und die Sammlung, die im Freien wächst, präsentiert sich nur mittelmäßig im Vergleich zur Darstellung von 1915.“ 26 Im Frühling 1922 erläutert Jean bei der Führung, die wir schon vorher erwähnt haben, dass auf dem Familienlandgut einige Bambushaine übrig geblieben sind, die trotzt der Schäden ihre Kraft bewahrt haben: Phyllostachys viridiglaucescens, Phyllostachys violascens, Phyllostachys aurea (in voller Blüte – zum ersten mal seit seiner Einführung nach Europa vor 73 Jahren!), Phyllostachys flexuosa, Sasa paniculata f. nebulosa, Fargesia nitida, Phyllostachys Henonis (der von 1904 bis 1906 geblüht hat). Und Phyllostachys edulis, der im April 1906 aus Prafrance mitgebracht wurde, hat 1913 sogar einen 4 m hohen Spross geschoben. Er baut diese Bambussorte als Sehenswürdigkeit an (er nimmt möglicherweise an, dass dieser Riesenbambus in Belgien nicht genug wuchert, um seine Schößlinge als Gemüse zu verzehren, wie es die Chinesen gewohnt sind!) Obwohl die Bambusse bis zu seinem letzten Atemzug im Mittelpunkt seiner Forschungen bleiben werden, ist klar, dass die Experimentierzeit von nun an beendet ist. Er war Pionier der Einführung neuer Arten und er hat zur Verbreitung der Bambusse beigetragen, was er generös fortsetzt. An dem denkwürdigen Tag erklärt er seinen Kollegen, bevor er die Führung mit dem Besuch seiner Sammlung geschliffener Feuersteine beendet, dass „wenn sie Lust haben, die besten Bambussorten anzubauen, sollen sie sich gut merken, dass er ihnen Bambusse anbietet, die er durch Teilung vermehrt hat und die sie sich am besten im Frühling während der Regenzeit holen können.“ 27
Fußnoten
1) PIERARD, Clovis, Le naturaliste Jean Houzeau de Lehaie et sa famille, Mémoires et publications de la société des arts et des lettres du Hainaut ,74. Band 1960, Seiten 73146 (die Bibliographie der von Jean H. de L. geschriebenen Studien, fängt Seite 129 an.)
2) Wir haben bis heute den Artikel von Matthieu (Ernest) nicht lesen können. L‘Ermitage von SaintBarthélemy in Mons, S.103, Annales du cercle archéologique de Mons, Band XXXVIII, 19081909.
3) Nach einem Gemälde von G. Hallez in dem Artikel von Clovis Pierard nachgedruckt, ibidem.
4) PIERARD, Clovis, idem, S.79.
5) JeanCharles Houzeau de Lehaie (18201888). Nach einem in dem Artikel von Clovis Pierard nachgedruckten Photo, ibidem.
6) De SMET, Antoine, Voyageurs belges aux Etats Unis du XVIIe siècle à 1900, Bibliothèque Royale de Belgique, Bruxelles, 1959, S. 9192.
7) PIERARD, Clovis, Id. p. 100
8) HOUZEAU DE LEHAIE, Jean “Ausflug am 13. Juli 1922“ Bulletin der Naturwissenschaftler aus Mons und dem Borinage; 4. Band, JuliAugustSeptember 1922, Seite 76
9) 1910 wird August mit einer Blume in der Hand auf der Titelseite einer Zeitschrift. Der ihm gewidmete Artikel endet: „Monsieur Houzeau de Lehaie bestellt vollkommen seinen Garten auf seinem Landgut Ermitage. Das hält ihn nicht davon ab, ‚Interparlemetaire’, das heißt in der ganzen Welt tätig zu sein“. ‚Warum nicht?’, 1. Jahrgang, Nr. 20, Donnerstag 1. September 1910
10) Facsimile der 2. Ausgabe von ‚Flora Japonica’ von Siebold und Zuccarini auf der Website der Universität von Kyoto: http://ddb.libnet.kulib. kyotou.ac.jp/exhibite/b01/b01cont.html
11) Zwischen 1845 und 1884, 23 Ausgaben mit 2000 Holzschnitten, koloriert und von Hand fertig gestellt.
12) LE TEXNIER (Pseudonym von Francois Le Tesnier): Notices sur les Jardiniers célèbres et les Amateurs de Jardins, Paris, 1911
13) Wir behalten die von J.H. de L. benutzten Bezeichnungen bei, cf. Le Bambou, Bulletin périodique, Nr. 9 et 10 – 30. Juni 1908, Kapitel 2 ‚Notice historique’, Seite 230
14) In der Tat hat der Schotte Robert FORTUNE zuvor diese Pflanze eingeführt (entweder zwischen 18431845 oder zwischen 18531856). In “Yedo and Peking. A Narrative of A Journey to the capitals of Japan and China“, veröffentlicht 1863 in London, erinnert er sich wonnig – pp. 1112 – seines Besuches in Nagasaki, in den winzigen Gärten „der würdigen Arbeiterklasse“ in denen sich Becken (darinnen sich rote und silberne Fische tummeln) kleinwüchsige Pflanzen zugesellen (unter ihnen ein panaschierter Zwergbambus, den ich aus China nach England eingeführt habe)
15) SCHRÖTER, Carl ‚Le Bambou et son importance comme plante utile’ Zürich, 1885
16) Digitalisiert von der Universität der Wissenschaften, Tokyo, id.
17) ‚Le Bambou’ bulletin périodique, Nr. 9 und 10, 30. Juni 1908. Hier werden folgende Themen behandelt: „Die Einfuhr, die Akklimatisation und die Kultivierung des Bambus im Westen des alten Kontinents und besonders in Belgien“, Kapitel VI – „Das Klima Belgiens“, Seiten 252253
18) idem, Kapitel VII – „Bericht über unsere Versuche in Belgien“, Seite 253
19) Die Landschaftsgestaltung in ‚L’Ermitage’ zeigt eine auffallende Ähnlichkeit mit den angelsächsischen ‚Wild Garden’ der Jahre 1880 – 1930. Da Jean sicherlich keinen intensiven Gartenanbau betreiben wollte, mischte er Bambusse und frostfeste exotische Pflanzen mit einheimischen Pflanzen und erlaubt, dass landwirtschaftliche und natürliche Flächen sich neben Gartenanlagen harmonisch entwickeln.
20) ‚Le Bambou’, bulletin périodique, Nr. 5 und 8, 15. Dezember 1906, „Die Fragen der Gärtner“, Seite 138
21) ‚Le Bambou’, bulletin périodique, Nr. 4, 15. Juli 1906, „Liste der Bambusaceae, kultiviert in Europa 1906, mit den Synonymen und den Mundartnamen“, Seiten 110120
22) ‚Le Bambou’, bulletin périodique, Nr. 9 und 10. Die Photos werden wiedergegeben im „Bericht über die Entwicklung des Bambus in Belgien ihr Zustand im April 1908“, Seiten 271294
23) ‚Le Bambou’, bulletin périodique, Nr. 7 und 8, Juni 1917, Seite 222
24) Houzeau de Lehaie, Jean, „Excursion du 13 Juillet 1922“
25) Auszug aus „Bulletin des Naturalistes de Mons et du Borinage“, Band III – I (19201921), erschienen in der Zeitschrift „Bambou“
26) Houzeau de Lehaie, Jean, „Excursion du 13 Juillet 1922“ Seite 76
27) id. S. 77