Die asiatische Bambusminierfliege (Cerodontha unisetiorbita)

Die asiatische Bambusminierfliege Cerodontha unisetiorbita in Italien


Foto: Daniel Kunz
Abb. 1: Schadbild eines noch nicht identifizierten Minierers an Phyllostachys-Blättern in der Schweiz.


Foto: Daniel Kunz
Abb. 2: Schadbild mit Tönnchenpuppe des Verursachers.

Bambus stand hierzulande bei den Gartenbesitzern lange im Ruf, völlig frei von Schädlingen zu sein. Doch allmählich scheint sich herauszustellen, dass einige hochspezialisierte Bambusschädlinge auf der Spur ihrer Wirtspflanzen von Asien in andere Teile der Welt gelangen. So hat Prof. Luciano Süss, damals Direktor des Istituto di Entomologia agraria dell‘ Università di Milano, für Italien das Auftreten der Minierfliege Cerodontha unisetiorbita an Phyllostachys mitis festgestellt (5).

Die umfangreiche Familie der Minierfliegen oder Agromyzidae besteht aus kleinen, meist nur 2 bis 3 mm langen Fliegen. Die deutsche Bezeichnung Minierfliege geht darauf zurück, dass die Larven dieser Fliegen in Blättern, ohne die Außenhaut der Blätter zu verletzen, Fraßgänge – sogenannte Minen – anlegen. Die Fraßspuren werden als Aufhellungen an der Oberfläche der Blätter sichtbar und zeigen ein artspezifisches längliches, spiralförmiges oder flächiges Aussehen. Manche Arten minieren auch in anderen Pflanzenteilen, z.B. in Stängeln. Die ausgewachsenen Fliegen ernähren sich von Pflanzensäften, indem sie Blätter anstechen. Etwa 7 % aller Minierfliegen sind als Schädlinge in der Landwirtschaft und im Gartenbau bekannt (2).

Wenn man sich vor Augen hält, dass weltweit etwa 2.900 Agromyzidenarten vorkommen und es allein in der Gattung Cerodontha bereits 286 Arten gibt, wird verständlich, dass eine exakte Identifizierung der meisten Arten nur durch einen Fachmann möglich ist. So werden beispielsweise Cerodontha unisetiorbita und ihre ebenfalls asiatische Schwesterart Cerodontha bisetiorbita von europäischen Minierfliegenarten unterschieden, indem man mikroskopische Präparate der männlichen Genitalapparate vergleicht.

Der russische Spezialist Vladimir Zlobin hat die Gattung Cerodontha neu geordnet (6) und auch die Erstbeschreibung von Cerodontha unisetiorbita veröffentlicht. Auf dieser Grundlage beschreibt Luciano Süss detailliert die Erkennungsmerkmale der Bambusminierfliege. Sein Weg zur Identifizierung von Cerodontha unisetiorbita soll hier in groben Zügen dargestellt werden. Für eine exakte Bestimmung sei auf die Fachliteratur (5)(6) verwiesen.
Minierfliegen gehören zu einer Untergruppe der Zweiflügler, bei der das schlüpfende Tier den Deckel der Tönnchenpuppe (s. Bild 3) mithilfe einer Stirnblase aufdrückt. Anschließend zieht sich die Stirnblase zurück, und auf der Stirn verbleibt eine nach oben gewölbte sichelförmige oder ovale Naht. Die von dieser Naht umschlossene Kopfplatte oberhalb der Fühler war bei den untersuchten Tieren deutlich höher als ein Halbkreis, womit die Tiere in die Untergattung Poemyza eingeordnet werden konnten. Fast alle Arten dieser Untergattung sind Minderer von Süßgräsern (Poaceae)(1), zu denen ja auch Bambus gehört. Die männlichen Genitalien der Fliegen wiesen jedoch große Unterschiede zu den europäischen Poemyza auf, und eine gründliche Genitalienuntersuchung führte schließlich zu Cerodontha unisetiorbita. Namengebend für C. unisetiorbita ist eine dichte Reihe von kleinen Borsten (orbita setulae), welche zusätzlich zu den regulären größeren Gesichtsborsten jeweils am inneren Rand der beiden Augen verläuft. Die Schwesterart C. bisetiorbita besitzt jeweils zwei solcher Reihen an jedem inneren Augenrand.
Die Bambusminierfliege Cerodontha unisetiorbita ist schwarz und etwas glänzend. Das Labellum, eine Art Lippe am Ende des Rüssels, ist auffällig gelb. Auch die sogenannten Halteren, die zu Schwingkölbchen umgebildeten ursprünglichen Hinterflügel der Zweiflügler, sind gelb gefärbt.

In dem umfangreichen Werk von Spencer (1990)(4) werden für Bambus (Bambusoideae) nur wenige Cerodontha-Arten angegeben: Auf Arundinaria wurde nur die Schwesterart Cerodontha bisetiorbita, auf Bambusa nur Cerodontha bambusae und auf Sasa nur Cerodontha sasae gefunden. Für Phyllostachys werden in dieser Publikation keine Cerodontha-Arten angegeben, und auch bei der Erstbeschreibung von Cerodontha unisetiorbita im Jahr 1992 war die Wirtspflanze noch nicht bekannt.

Die von Zlobin 1992 beschriebenen Exemplare stammen aus Japan von der Insel Kyushu. In Italien fand Luciano Süss 2000 die ersten Exemplare in einem wilden Bestand von Phyllostachys mitis in 460 m Höhe bei Arizzano in der Nähe des Lago Maggiore. Im selben Jahr fand er noch einen Befall auf derselben Wirtspflanze in einem Privatgarten in Mailand und im Frühjahr des folgenden Jahres – wieder auf derselben Wirtspflanze – einen Befall in Pozzuolo in der Provinz La Spezia. Die Herkunft von Angaben zum Vorkommen von Cerodontha unisetiorbita in Albanien (3) kann nicht nachvollzogen werden. Bei Süss (2001) gibt es keinen solchen Hinweis.

Luciano Süss, der seit vielen Jahren Agromyziden gesammelt hat und auch oft Gelegenheit hatte, Phyllostachys mitis zu sehen, sind nie zuvor die Fraßspuren von Cerodontha unisetiorbita aufgefallen. Aus der Tatsache, dass Cerodontha unisetiorbita gleichzeitig an entfernten Orten in Italien auftrat, schließt er, dass diese winzige und unauffällige Minierfliege mit den kleinen Gangminen latent wohl schon seit längerem in Italien heimisch war. Der Witterungsverlauf im Jahr 2000 hätte dann zu einer so starken Vermehrung dieser Minierfliegen geführt, dass der Befall von Bambus auffällig wurde. Berichte deuten darauf hin, dass Cerodontha unisetiorbita mehrere Generationen pro Jahr hat und – im Gegensatz zur Schwesterart Cerodontha bisetiorbita – streng an eine einzige Wirtspflanze gebunden ist.


Foto: Daniel Kunz
Abb. 3: Tönnchenpuppe einer minierenden Fliege.

Aus einem Bambusbestand in der Nähe von Zürich ist dieses Jahr im Internetforum der EBS-D ein erstes Foto von Gangminen und Minierfliegenpuppen in Phyllostachys-Blättern aufgetaucht (s. Bild 1 und 2). Die gleichen Gangminen fanden sich auch an Fargesien. Das Schadbild weist eine große Ähnlichkeit mit dem Schadbild der Bambusminierfliege in Italien auf, jedoch scheinen die Gänge breiter zu sein. Während die Breite der Gangminen in Italien auf Fotos nur 1/8 bis 1/6 der Blattbreite ausmachen, beträgt die Breite auf Fotos vom schweizer Vorkommen etwa 1/4 bis 1/3 der Blattbreite. Solange der Schädling noch nicht eindeutig identifiziert ist, sollte man sehr vorsichtig damit sein, auf Grundlage der Wirtspflanze und des Schaubildes Vermutungen über den Verursacher anzustellen. Durch den Fund von Tönnchenpuppen kann man monierende Käfer oder Schmetterlinge zwar ausschließen, aber auch einheimische Minierfliegen mit einem von Natur aus breiteren Nahrungsspektrum kommen in Betracht. Außerdem hat sich in den letzten Jahrzehnten das Nahrungsspektrum einiger Minierfliegenarten, die ursprünglich auf eine einzige Pflanzenart spezialisiert waren, deutlich auf mehrere oder viele Pflanzenarten erweitert. Man führt dies auf die Zunahme von Intensivkulturen und andere große Veränderungen in den Ökosystemen zurück (2). Im Prinzip könnte also auch eine ursprünglich spezialisierte einheimische Minierfliegenart ihr Nahrungsspektrum auf den ins Ökosystem eingeführten Bambus erweitert haben. Theoretisch ist es auch nicht auszuschließen, dass eine weitere, in Europa noch nicht nachgewiesene Minierfliegenart aus Asien eingeschleppt wurde. Hinzu kommt noch, dass es bei den Fliegen auch außerhalb der Familie der Minierfliegen monierende Arten gibt.

Die Phyllostachys-Bestände in Italien scheinen laut Luciano Süss den Befall mit Bambusminierfliegen ganz gut zu verkraften, und auch in der Schweiz kommt es bislang zu keiner großen optischen Beeinträchtigung durch den noch unbestimmten Minierer. Man kann die Populationsentwicklung einer eingeschleppten Insektenart nicht vorhersagen, aber bislang müssen sich Bambusliebhaber noch keine Sorgen machen, wenn sie Symptome von Minierern an ihren Pflanzen entdecken. Wer dennoch vorsichtig sein möchte, kontrolliert seine Neuzugänge auf Minierfliegenbefall und entsorgt gegebenenfalls befallene Blätter durch Verbrennen oder Vergraben.

Autor: Raimund Düking

Quellen:
(1) Černý, M. 2010. A review of the species of Cerodontha Rondani (Diptera: Agromyzidae) of Israel, with a new species of the subgenus Poemyza Hendel, 1931. Israel Journal of Entomology, Vol. 40, pp. 117–143.
(2) Gil Ortiz, R. 2010. Biosystematic contributions to Agromyzidae (Diptera). Jimenez Peydro, R. dir., Universitat Politècnica de València. Departamento de Ecosistemas Agroforestales.
(3) Skuhravá, M. et al. 2010 Diptera. Chapter 10. In: Roques A et al. (Eds) Alien terrestrial arthropods of Europe. BioRisk 4(2): 553–602.
(4) Spencer, K. A. 1990 – Host Specialization in the World Agromyzidae (Diptera). Kluwer Acad. Publ., Ser. Entomol., 45: 1-144
(5) Süss, L. 2001. Cerodontha (Poemyza) unisetiorbita Zlobin (Diptera Agromyzidae) nuova per l‘Europa. Bollettino di Zoologia agraria e di Bachiccoltura, Ser. II, vol. 33 (1) pagg. 73-77.
(6) Zlobin, V.V. 1993. Review of mining flies of the genus Cerodontha. IV. Subgenus Poemyza (Diptera: Agromyzidae). Zoosystematica Rossica, 1(0), 117–141.

Aktualisierung 01: Cerodontha unisetiorbita identifiziert


Foto: Daniel Kunz

Im vorherigen Bambus-Journal wurde berichtet, dass die asiatische Bambusminierfliege Cerodontha unisetiorbita seit längerem nach Italien eingewandert ist, und es in der Schweiz 2013 in einem Bambusgarten in der Nähe von Zürich zum einem Befall von Bambus durch einen noch nicht identifizierten Minierer kam. Inzwischen ist es unserem Mitglied Daniel Kunz gelungen, kleine schwarze Fliegen aus den Puppen des unbekannten Insekts heranzuziehen und zu fotografieren (s. Abb.).
Wegen der geringen Größe der Fliege von kaum 3 mm sind die meisten Bestimmungsmerkmale nicht zu erkennen, aber Luciano Süss, der die asiatische Bambusminierfliege in Italien entdeckt hat und sie genau kennt, bestätigt, dass es sich um Cerodontha unisetiorbita handelt. Aufgrund der Flügeladerung ist sie auf dem Foto eindeutig von der Schwesterart Cerodontha bisetiorbita zu unterscheiden: Der letzte Abschnitt der mittleren Flügelader ist etwa 1,8 mal so lang wie der vorletzte Abschnitt. Bei der Schwesterart C. bisetiorbita müssten die beiden Abschnitte der Ader etwa gleich lang sein.
Luciano Süss hat die Bambusminierfliege in den letzten Jahren in Italien nicht mehr gesehen, und auch in dem schweizerischen Bambusgarten hat der Minierfliegenbefall zu keiner größeren optischen Beeinträchtigung der Bambuspflanzen geführt. Bei den Bambushändlern dürften eventuell auftretende Minierfliegen als Nebeneffekt der Bambusmilbenbekämpfung weitgehend beseitigt werden. Es scheint also – anders als bei den Bambusmilben – bislang keinen Handlungsbedarf zu geben.

Aktualisierung 02: Bambusminierfliegen auch in Deutschland

Nach Fundmeldungen der asiatischen Bambusminierfliege (Cerodontha unisetiorbita) aus Italien, der Schweiz und Tschechien (hier bisher nur ein Bericht über Gangminen in Phyllostachys-Blättern) ist die Minierfliege im Herbst 2014 auch in meinem Garten in Norddeutschland an Phyllostachys parvifolia aufgetreten. Da es in meinem Garten und auch in der Nachbarschaft keine Neuzugänge an Bambus gibt, kann die Fliege nicht auf diesem Weg eingeschleppt worden sein. Im Gegensatz zu den Bambusmilben und Bambusschmierläusen, die fast ausschließlich über den Handel verbreitet werden, scheint die Fliege doch einen größeren Aktionsradius zu besitzen. Zum Glück gibt es keine Berichte von nennenswerten Beeinträchtigungen.
Um sicher zu gehen, dass es sich hier nicht um eine einheimische Minierfliegenart handelt, welcher der Wechsel auf eine neue Wirtspflanze gelungen ist, habe ich aus einer Puppe eine Fliege schlüpfen lassen und die Liste der äußeren Merkmale der Bambusminierfliege abgearbeitet. Die Befunde passen hundertprozentig zu Cerodontha unisetiorbita. Die inneren Organe (Genitalien der Männchen) habe ich jedoch nicht untersucht.

Aktualisierung 03: Weitere Vorkommen der Bambusminierfliegen in Hannover

An den Phyllostachys-Beständen im Zoo Hannover gibt es Mitte Oktober 2014 auch Gangminen von Minierfliegen. Man muß jedoch schon sehr lange suchen, um ein befallenes Blatt zu entdecken.
Anders ist die Situation im Berggarten in Hannover. Dort findet man reichlich befallene Blätter an Phyllostachys-Arten und an einem niedrigen Bambus, der dort mit Arundinaria pumila beschildert ist.
Außerdem gibt es eine Forumsmitteilung über Fraßgänge an Semiarundinaria fastuosa in einem Privatgarten.

Wenn die Tiere jetzt zeitgleich in verschiedenen Gärten auftauchen, dann spricht das in meinen Augen dafür, daß sich die Populationen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle schon seit längerem verbreitet haben. Es wäre also witterungsbedingt, daß wir sie jetzt finden. Somit bestünden gute Aussichten, daß sie in den nächsten Jahren wieder unter die Wahnehmungsschwelle sacken. Ähnliche Erfahrungen hat es ja auch in Italien gegeben. Wenn es sich bestätigt, dass die Gangminen an Fargesia (schweizer Vorkommen), an Semiarundinaria fastuosa und an Arundinaria pumila von Cerodontha unisetiorbita sind, dann müßte die Annahme, dass diese Art ausschließlich an Phyllostachys gebunden ist, revidiert werden.

Aktualisierung 04: Vorkommen in Deutschland wissenschaftlich anerkannt.

Nun ist das Vorkommen der asiatischen Bambusminierfliege Cerodontha unisetiorbita in Deutschland auch wissenschaftlich anerkannt:

Miloš Černý & Jindřich Roháček:
Cerodontha (Poemyza) unisetiorbita Zlobin,1993 (Diptera: Agromyzidae), a leaf-miner on bamboo: first records from Central Europe. – Acta Mus. Siles. Sci. Natur., 64: 91-96, 2015.

Interessanterweise waren einige der Minierfliegenpuppen, welche in der Tschechischen Republik im zoologischen Garten von Zlín-Lešná an Phyllostachys nuda gefunden wurden, von einer Brackwespenart parasitiert. Statt einer Minierfliege ist in diesen Fällen also eine kleine Brackwespe (Braconidae) geschlüpft. Nach einer vorläufigen Bestimmung soll es sich dabei um eine Art aus dem Tribus Opiini handeln (Quelle s.o.).

Autor: Raimund Düking

Die Seite der EBS-D