Dr. Steffen Greiner
Die EBS-D hat – mittlerweile zum 16. Mal – den Bambus des Jahres gewählt, aber etwas ist anders beim Bambus des Jahres 2019. Nicht nur, dass bei unserem diesjährigen Siegerbambus die Artbezeichnung fehlt und stattdessen dort nur eine Nummer steht, auch der Erwerb der Pflanze dürfte derzeit wegen geringer Verfügbarkeit noch eine ziemliche Herausforderung sein. Trotzdem, die Mitglieder der Europäischen Bambusgesellschaft haben sich für die Pflanze entschieden, weil sie besonders ist, etwas was es so im Bambussortiment bisher nicht gab.
Für viele Gartenliebhaber sind die hohen und vor allem dicken Halme von Pflanzen aus der Gattung Phyllostachys der Inbegriff von Bambus. Fargesia dagegen, mit ihren dünnen Halmen und dem buschigen Wuchs, können da kaum mithalten. Auch in der Höhe sind diese mit meist unter 4 m deutlich weniger imposant. Die beeindruckende Erscheinung der Phyllostachys geht allerdings mit einem weitläufigen Rhizomsystem einher, was in den meisten Gärten nicht tolerabel ist. Das Eingrenzen der Rhizome (z.B. mit Rhizomsperren und anderen Methoden) ist arbeitsintensiv, aufwendig, verhältnismäßig teuer und oft auch gar nicht dauerhaft machbar. Bambusliebhaber suchen daher schon lange nach Alternativen für Phyllostachys, die einen eindrucksvollen Habitus mit horstigem Wuchs – ähnlich wie bei Fargesia – vereinigen. Pflanzen mit solchen Eigenschaften waren bisher nur aus tropischen Gegenden bekannt und für mitteleuropäisches Klima nicht geeignet. Hier liegt der Grund für die Wahl: Borinda spec. ‘KR 5287’ erreicht Höhen und Halmdurchmesser die durchaus Dimensionen der imposanten Phyllostachys erreichen. Dabei treibt sie aber keine Ausläufer und benötigt so keine Rhizomsperre. Außerdem besitzt sie eine für die milderen Gegenden in Deutschland ausreichende Winterhärte.
Die Pflanze wurde 1999 aus Ost-Tibet nach England eingeführt. Der Sammelort liegt etwa bei 29° 35’N, 94° 57’E, oberhalb Kyikar im Mainling Gebiet auf etwa 3400 bis 3500 m, in der Nähe des Yarlung Tsangpo Flusses, dem Oberlauf des späteren Brahmaputra. Die Pflanze wächst dort als Unterbewuchs (Unterholz) in Tannen- (Abies) und Fichten (Picea) -Wäldern mit Himalaya-Birke (Betula utilis) und Lärchen (Larix kongboensis) vergesellschaftet.
Diese Pflanze – wie auch andere nach Europa eingeführte Pflanzen der Gattung Borinda [1] [1]- konnte noch nicht eindeutig einer Art [2] zugeordnet werden, weshalb sie immer noch unter ihrer Sammelnummer kultiviert wird. Da sie von dem „Pflanzenjäger“ Keith Rushforth gesammelt wurde, stehen vor der Sammelnummer die Initialen KR. Weiterführende Literatur zur Gattung Borinda und zu anderen Einführungen aus dieser Gattung findet sich in den Publikationen der EBS [2, 3].
Borinda spec. ‘KR 5287’ wächst wie bereits erwähnt horstig (pachymorph), aufrecht und kaum überhängend. Die Rhizomhälse, die den Halmabstand bei horstig wachsenden Bambussen bestimmen, sind kaum länger als 10-15 cm. Das ist dementsprechend der Betrag, um den die Pflanze in der Regel jährlich in jede Richtung breiter wird. Aufgrund der Größe der Pflanze nimmt sie letztendlich aber trotzdem mehr Platz in Anspruch als z.B. viele Fargesia, 4 m² werden sicherlich minimal benötigt. Die ältesten Pflanzen in Deutschland sind unterdessen seit etwa 10 Jahren ausgepflanzt und haben Höhen von 5 bis nahe 8 m und Halmdurchmesser von maximal 3,5 cm erreicht (Abbildung 1). Vermutlich sind diese Pflanzen damit nahezu ausgewachsen, auch wenn man berücksichtigen muss, dass diese Pflanzen vor 10 Jahren als kleine Vermehrungen mit einzelnem Halm starten mussten. Die Halmscheiden sind verhältnismäßig stark behaart und länger anhaftend (Abbildung 2). Die neuen Halme sind nach Verlust der Halmscheiden mit einem bläulich-weißen, puderigem Überzug versehen, welcher die erste Vegetationsperiode überdauert. Dadurch sehen die Halme im ersten Jahr attraktiv bläulich aus, bevor sie in den Folgejahren grün werden (Abbildung 3). Die Halme sind stabil und dickwandig. Die Knoten (Nodien) sind leicht hervorstehend mit auffälligen Halmscheidennarben (Abbildung 4). Die Blätter sind mittelgroß, meist 5-8 cm lang, an jungen Halmen aber auch größer.
Die Winterhärte beträgt etwa -18°C, allerdings kann schon ab etwa -12 bis -14°C Laubverlust erfolgen, die Halme beblättern sich aber dann im Frühjahr rasch wieder. Die Pflanze verträgt sonnige Standorte bei ausreichend Feuchtigkeit sehr gut, auch halbschattige Standorte werden gut vertragen.
Die Pflanze eignet sich hervorragend zur Einzelstellung im Garten als Solitär. Für eine dauerhafte Topfkultur ist sie wegen der begrenzten Winterhärte und der Größe ungeeignet.
Literatur:
[1] Stapleton, C. M. A. The bamboos of Nepal and Bhutan. Part II: Arundinaria, Thamnocalamus, Borinda, and Yushania (Gramineae: Poaceae, Bambusoideae) EDINB. J. BOT. 51(2): 275–295 (1994)
[2] Greiner, Steffen Alternative zu Phyllostachys: Borinda? Bambus Journal 29. Jahrgang, Nr. 2: 4-7 (2018)
[3] Bell, Mike [Übersetzung und Kommentar: Greiner, Steffen] Borinda: Ein Leitfaden zu den Sammlungen, Arten und verschiedenen Klonen Bambus Journal 23. Jahrgang, Nr. 3: 4-9 (2012)
[4] Flora of China, Vol. 22 (Poaceae), MBG Press (2006)
[5] http://flora.huh.harvard.edu/china/PDF/PDF22/Fargesia.pdf
[6] Demoly, Jean-Pierre Les bambous chinois á rhizome pachymorphe d’introduction recente, cultives en plein air en Europe, Bambou, AEB France (2006)
Fußnoten:
[1] Pflanzen der Gattung Borinda werden häufig noch der Gattung Fargesia zugeordnet.
[2] Es sind Merkmale der Arten Borinda papyrifera, Borinda macclureana und Borinda grossa erkennbar [4, 5, 6].