Dr. Steffen Greiner
Mit Phyllostachys aureosulcata ‘Harbin Inversa’ wurde ein sehr farbenfrohes Mitglied der gut winterharten Aureosulcata-Gruppe zum Bambus des Jahres 2013 gewählt. Die Stammform Phyllostachys aureosulcata ist in China in vielen Gegenden (Beijing, Henan, Jiangsu und Zhejiang) in Kultur, daher ist der Ursprung der bereits 1945 von McClure [1, 2] beschriebenen Art nicht genau zu bestimmen. Angepflanzt wird die Art auch in China fast ausschließlich als Zierpflanze. Auffällig ist die Mutationsfreudigkeit dieser Art. Unterdessen sind mehr als 10 verschiedene Formen der Art bekannt [3]: hier seien nur die sehr gut im Handel verfügbaren und ebenfalls sehr attraktiven Formen ‘Aureocaulis’ und ‘Spectabilis’ erwähnt.
Die Form ‘Harbin Inversa’ stammt höchstwahrscheinlich nicht von der Stammform – die mit ihrem gelben Sulcus[1] im übrigen auch schon eine Mutation ist – ab, sondern ist vielmehr eine Mutation von Phyllostachys aureosulcata McClure f. aureocaulis Z.P.Wang & N.X.Ma. Nach einigen Quellen soll die Mutation in den 90iger Jahren von David Crompton in England gefunden worden sein. Hervorzuheben ist, dass es sich sicher nicht um die inverse Form von ‘Harbin’ handelt, was der Name vermuten lassen würde. Die Form ‘Harbin’ hat zusätzlich zur Farbmutation Halmdeformationen, die an Phyllostachys bambusoides ‘Marliacea’ erinnern, einen völlig anderen Habitus und einen Defekt im Blattwechsel. Alle diese Merkmale sind bei ‘Harbin Inversa’ nicht zu finden.
Die Wuchseigenschaften und auch die Winterhärte von ‘Harbin Inversa’ entsprechen im wesentlichen denen der Stammform (Art).
Die Halme können nach einigen Jahren und mit ausreichend Platz 8 m Höhe und über 3 cm Durchmesser erreichen. Junge Halme fühlen sich – wie bei allen Formen von Phyllostachys aureosulcata – rau an, bei älteren Halmen ist dieser Effekt zunehmend weniger ausgeprägt. Besonders die dünneren Halme von ‘Harbin Inversa’ können im unteren Bereich den für alle Phyllostachys aureosulcata typischen Zick-Zack-Wuchs aufweisen (Abbildung 1, im Hintergrund). Warum einzelne Halme diese auffällige Wuchsform entwickeln ist noch immer vollkommen ungeklärt: Zunächst kommen die Halme senkrecht aus dem Boden, um sich dann extrem nach einer Seite (oft waagerecht) zu biegen. So bleiben sie für einen manchmal auch für 2 Tage und biegen sich dann in die entgegengesetzte Richtung bevor sie wieder senkrecht weiter wachsen. Die Grundfarbe der Halme von ‘Harbin Inversa‘ ist gelb mit häufigen, sehr feinen und zufällig verteilten grünen Streifen, der Sulcus ist dabei aber nicht grundsätzlich grün. Neue Halme färben sich besonders unter guten Lichtverhältnissen rötlich. Die Internodien können bis 40 cm Länge erreichen und die Knoten sind leicht hervorstehend, der Knoten selbst mehr als die Narbe der Halmscheide (in Abbildung 3 gut zu erkennen). Die Halmscheiden sind violett-grün mit gelben Streifen, oft mit wenigen kleinen braunen Flecken, leicht bemehlt und unbehaart, Öhrchen und Wimpern sind gut ausgeprägt (Abbildung 2).
Erstmalig ist für das Jahr 2013 ein Vertreter der so wichtigen Aureosulcata-Gruppe zum Bambus des Jahres gewählt worden, der sehr große Winterhärte (oft werden bis unter -20°C vertragen) mit einer außergewöhnlich schönen Halmzeichnung kombiniert. Schon deshalb ist es sicher einige Anstrengung wert, eine Pflanze dieser noch immer relativ selten in Kultur anzutreffenden Form für den eigenen Garten zu erwerben.
[1] aureosulcata = goldfarbener Sulcus
Literatur
- McClure, Phyllostachys aureosulcata. J. Wash. Acad. Sci., 1945. 35: p. 282.
- Zhengyi, W., P.H. Raven, and H. Deyuan(editors), Flora of China. 2006. 22(Poaceae).
- Ohrnberger, D., The Bamboos of the World. Elsevier, 1998.