Dr. Steffen Greiner
Nachdem seit 2008 nur noch Phyllostachys gewählt wurden, wurde mit Fargesia demissa ‘Gerry’ nun endlich einmal wieder ein horstig wachsender Bambus zum Bambus des Jahres gewählt.
Zur Herkunft: die Pflanze auf der die spätere Artbeschreibung beruht wurde im September 1979 in China, Provinz Gansu, in der Nähe der Stadt Lanzhou auf 2050 m von Tong Pei Yi gesammelt. Fast 10 Jahre später wurde dann Fargesia demissa als neue Art beschrieben [1]. Allerdings ist bis heute strittig, ob es sich tatsächlich um eine neue Art handelt. So wird in der in der Flora of China [2] Fargesia demissa schlicht als kleinere Form von Fargesia nitida angesehen. Ungeachtet dessen und da es auch deutliche Unterschiede zu Fargesia nitida gibt (dickere Halme bei geringerer Höhe, längere Rhizomhälse und andersartige Halmscheiden), möchte ich hier zumindest für den gartenbaulichen Gebrauch den Artnamen ‘demissa’ verwenden.
Neben der durch die Mitglieder der EBS-D gewählten und hier beschriebenen Fargesia demissa ‘Gerry’, wurden 2004 noch 8 weitere Demissa-Klone über das Forest Department von Lanzhou nach Europa eingeführt: Demissa ‚A‘, ‚B‘ (‚Bernhard‘), ‚C‘, ‚D‘, ‚E‘, ‚F‘ (alle durch Jos van der Palen), sowie Demissa ‚Lanzhou 1‘ und ‚Lanzhou 2‘ (die letzteren durch Fred Vaupel).
Noch sind die Erfahrungen zu allen Demissa-Klonen relativ jung und es gibt kaum ausgewachsene Pflanzen, so dass die hier gemachten Angaben teilweise als vorläufig zu betrachten sind.
Die Geschichte der Namensgebung ist ein wenig kurios. Der Name ‘Gerry’ wurde eigentlich durch den Bambuszüchter Hans Verwey, der auch die neuen Hybriden aus Fargesia nitida und Fargesia murielae selektiert hat, vergeben. Bei Jos van der Palen hatten 7 verschiedene Klone von Fargesia demissa die Einfuhr überlebt, die er ‘A‘, ‘B‘, ‘C‘, ‘D‘, ‘E‘, ‘F‘ und ‘G‘ genannt hatte.
Hans Verwey wollte davon eine Pflanze aussuchen und konnte sich nicht zwischen ‘B‘ und ‘G‘ entscheiden. Jos van der Palens Frau Gerry war damals auch dabei und Hans Verwey sagte: ich wähle ‘G‘ und nenne diese ‘Gerry’. Im Jahr darauf tauchte dieser Name tatsächlich in seinem Katalog auf und Jos van der Palen hat diesen Namen dann auch übernommen [1]
Wie bereits erwähnt kommt Fargesia demissa aus der Nähe der Stadt Lanzhou etwa auf 36° N und damit vom nördlichen Rand des Verbreitungsgebietes der Gattung Fargesia. Das ist zwar etwa auf dem Breitengrad Siziliens, aber aufgrund der Höhenlage und des kontinentalen Klimaeinflusses absolut nicht zu vergleichen. Die mittleren Tagesminima am Sammelort dürften im Januar etwa -15°C betragen und zudem fällt im Winter dort fast kein Niederschlag. Dieses im Winter trockenkalte Klima lässt eine Winterhärte ähnlich Fargesia nitida vermuten, welche oft mit etwa -28°C angegeben wird. Dementsprechend gab es bisher praktisch keine Berichte über Winterschäden in unserem Klima.
Die Pflanze hat einen aufrechten Wuchs, nur dünne mehrjährige Halme können auch etwas überhängend sein. Der Halmabstand ist im Vergleich zu Fargesia nitida mit bis 15 cm relativ groß (Abbildung 2). Die Endhöhe wird vermutlich meist zwischen 2 und 3 Meter liegen. Allerdings erreichte die größte Pflanze eines EBS-Mitglieds im vergangenen Jahr bereits 3,3 m, daher sind unter bestimmten Standortbedingungen oder im Alter vielleicht auch Höhen bis 4 m denkbar. Die Halmstärke kann bis 1,5 cm betragen. Die Halme sind zunächst bläulich/lila/schwarz gefärbt und etwas weiss bemehlt. Die Länge der Internodien beträgt 11 – 20 cm. Der Austrieb erfolgt verhältnismäßig spät im Juni (Abbildung 1) und die neuen Halme gehen ohne Seitenzeige in den Winter. Erst im Mai des folgenden Jahres bilden diese Halme Seitenzweige (Abbildung 5). Die Halmscheiden sind relativ langlebig, violett oder violett-braun, dreieckig-elliptisch, gewöhnlich kürzer als die Internodien und spärlich weiß-grau borstig behaart. Die Knoten – v.a. die Narben der Halmscheiden – sind auffallend und sehr charakteristisch (Abbildung 4).
Die Pflanze besitzt kleine aber verhältnismäßig breite Blätter und verliert im Herbst meist etwa 80% ihrer Blätter (vergleiche auch Abbildung 3). Die verbleibenden Blätter können in Dauerfrostperioden anhaltend eingerollt sein. So kann im Winter ein blattloser Eindruck entstehen. Die Pflanze bildet im Frühjahr sehr früh (März) neue frischgrüne Blätter, so dass in Kombination mit den schwarzen Halmen ein unschlagbarer Kontrast entsteht.
Der Standort sollte wie bei den meisten Fargesien eher halbschattig bis schattig sein, allerdings werden auch sonnige Standorte erstaunlich gut vertragen. Bei starker Sonne oder im Winter ist die Neigung zum Blattrollen erhöht, ein sicher sinnvoller Schutzmechanismus, wenn man die Bedingungen am Naturstandort im Betracht zieht (s.o.). Auffallend ist auch, dass an eher sonnigem Standort die Seitenzweige deutlich kürzer zu bleiben scheinen als an schattigen Standorten. Wegen der herausragenden Winterhärte könnte ‚Demissa‘ gut zur Topfkultur im Außenbereich geeignet sein, hier werden sicher in den nächsten Jahren noch Erfahrungen gesammelt werden.
Aufgrund der geringen Beblätterung im Winter ist die Pflanze für Hecken und als Sichtschutz wohl eher ungeeignet. Als Solitär ist dieser Bambus aber im Frühjahr und Sommer unschlagbar schön, vielleicht für manche der Schönste im Garten!
Nachdem Fargesia demissa ‘Gerry’ noch nicht einmal 10 Jahre in Europa ist, dürfte klar sein, dass die Pflanze noch nicht überall verfügbar ist. Sicher ist es aber einige Anstrengungen wert, diese sehr außergewöhnliche Fargesie für den eigenen Garten zu erwerben.
[1] Jos van der Palen, persönliche Mitteilung